RÜTTENSCHEID - Gute Zeit.

Bewertung Fahrradstraße Rü

Evaluierung der Fahrradstraße Rü

Am 15.9.20 wurde die Fahrradstraße Rü eröffnet. Als „Fahrradachsen B“ war diese mit den Achsen A und C Teil des Förderprogramms „Lead City“ des Bundes mit dem man Maßnahmen zur Einhaltung von Umweltgrenzwerten ausprobieren wollte und die Bestandteil einer Einigung mit der Umwelthilfe vor Gericht zur Vermeidung von Fahrverboten waren. Umfassende Infos mit Vorgeschichte unter www.ruettenscheid.de/fahrradstrasse

In den Förderbedingungen ist festgelegt, dass nach einem Jahr die Änderungen im Verkehrsaufkommen und andere Wirkungen gemessen werden. Entsprechend wurden Daten vor dem Umbau im Juli 2019 und im August 2021 erhoben. Dazu gehörten Verkehrszählungen und Befragungen. Die Evaluationsergebnisse stehen im Ratsinformationssystem...

Es sagt viel über das Vorgehen aus, dass Protagonisten aus Verwaltung und Politik bereits lange vor Vorliegen der Ergebnisse ihre Schlussfolgerungen daraus verkündeten, nämlich die sog. Modalsperren, die von den betroffenen Anliegern einhellig als höchst schädlich und unakzeptabel beurteilt werden.

Daher hier eine Bewertung des Vorgehens und der Sachlage:

Untauglicher Zeitpunkt

Wenn es die Förderbedingungen vorschreiben, muss man zum vorgegebenen Zeitpunkt natürlich auch zählen. Allerdings waren sich alle schon während der Baumaßnahme - in der Pandemiezeit - im Klaren darüber, dass der Zeitpunkt völlig ungeeignet ist für eine sachgerechte Beurteilung.

Alle wissen, dass Corona die Verkehrslage sehr erheblich verändert hat. Auch in der Ratssitzung vom 22.9.21 wurden aktuelle Studien zitiert, die feststellen, dass noch immer der ÖPNV in erheblichem Maße gemieden wird. Das erhöht den Auto- und in geringerem Maße auch den Radverkehr. Die entgegenwirkenden Auswirkungen des Homeoffice dürften im Sommer deutlich nachgelassen haben. Die Zurückhaltung hinsichtlich des Einkaufens im Stationären Einzelhandel ist weiterhin deutlich spürbar und die Zukunft der Läden nach Auslauf der Hilfsmaßnahmen ist sehr ungewiss. Sicher ist, dass der Einzelhandel, um den es auf der Rü auch geht, keine weiteren Belastungen verträgt und nur schwer geschädigt aus der Pandemie herauskommt.

Die Einflüsse der Pandemie lassen daher keine Beurteilung der langfristigen Auswirkungen zu.

Völlig unbeachtet bleibt eine Großbaustelle, die viel Verkehr auf die Rüttenscheider Straße leitet.
Anfang 2021 wurde eine große Kanalbaustelle an der Zweigertstraße von Landgericht bis Kortumstraße eingerichtet, die bis in das Jahr 2022 besteht und zur Sperrung der Zweigertstraße in Richtung Rü und die meiste Zeit auch in Gegenrichtung führte. Die Zweigertstraße/Klarastraße gehört zu den großen, höherrangigen West-Ost-Querstraßen, die die Rü kreuzen. Der gesamte Verkehr aus Richtung Westen/Holsterhausen wird am Landgericht auf die Martinstraße geleitet. Um die eigentlich gewünschte Fahrtrichtung Klarastraße wieder zu erreichen, muss man auf die Rü links abbiegen, denn das Linksabbiegen auf die Alfredstraße ist nicht erlaubt. Auch der Verkehr, der in nördliche Richtung auf die Alfredstraße/B224 will, muss auf die Rü. Dies betrifft leider den Kernbereich der Rü, der ohnehin am intensivsten aufgesucht wird.

Durch diese neue Großbaustelle wird das Verkehrsaufkommen auf der Rüttenscheider Straße gegenüber dem Ausgangspunkt erheblich verstänkt.

Sowohl bei Rad- als auch bei Autofahrern sind weiterhn erhebliche Verständnissdefizite bezüglich der Ausführung der Fahrradstraße zu beobachten, wie die Bedeutung des Schutzstreifens, der auch schon weitgehend wieder verschwunden ist, Tempo 30 als implizite Eigenschaft der Fahrradstraße etc., so dass in jeder Beziehung noch kein stationärer Zustand eingetreten ist.

Untaugliche Messgenauigkeit

Ein grundsätzlicher Fehler liegt auch darin, dass man eine Regelung, die das ganze Jahr über rund um die Uhr Gültigkeit hat, mit einem einzigen Messpunkt von wenigen Stunden immer im Sommer bei gutem Wetter beurteilt. Es handelt sich nicht einmal um einen ganzen Tag, sondern nur um zwei mal drei Stunden in der Rushhour (6-10 und 15-19Uhr) eines Wertages, der nicht genannt wird. Das erlaubt keine Aussagen über das ganze Jahr, in dem die Geschäfte auch arbeiten müssen. Nicht einmal das Verkehrsaufkommen über den einen Messtag kann damit ermittelt werden. Auch sind Analysen über den Tagesablauf und die Nutzungsszenarien nicht möglich.

Es ist unbestritten, dass der Einfluß des Wetters - aber auch vieler anderer Faktoren - auf die Zahl der Radfahrer sehr groß ist, wie schon belegt wurde.
Die Tatsache, dass das Wetter am Tag der Evalustionszählung eine "schlechtere Witterung" aufwies und das Jahr 2021 durchgehend sehr regerisch war, lässt schon ein geringeres Fahrradaufkommen erwarten.
Auch liegen über das Jahr hinweg meist deutlich schlechtere Nutzungsverhältnisse vor, als an den Messtagen, so dass ein Jahr überhaupt nicht beurteilt werden kann. Im Winter oder wenn es regnet, gibt es viel weniger Radverkehr.

Verkehrsregelungen gelten aber das ganze Jahr rund um die Uhr, was bei einer Abwägung zu berücksichtigen ist.

Wie hoch die Messungenauigkeit darurch ist, dass man nur wenige Stunden an nur einem bestimmten Tag misst, erkennt man auch an der starken Schwankung der Werte, die teilweise kaum zu erklären sind und an Ergebnissen, die mit den Tatsachen nicht übereinstimmen. So wird z.B. in 2020 von den Autofahrern der Mangel an Parkplätzen deutlich weniger beklagt, obwohl gleichzeitig zu diesem Zeitpunkt um die 40 Parkplätze gegenüber dem Ausgangspunkt weggefallen sind und angeblich ein höheres KFZ-Aufkommen vorliegT. (Neben weit über 20 Parkplätzen, die für die Außengastronomie geopfert wurden, haben die Container der U-Bahnbaustelle an den Parkplätzen Rüttenscheider Stern und Martinstraße über 10 Stellplätze gekostet und auch der Bau der Fahrradstraße hat Stellplätze gekostet.)

Untaugliche Kriterien und Verfahren

Der Gutachter räumt selbst systematische Mängel bei den Messungen ein, etwa, wenn nur Autofahrer nach der Parkplatzsituation befragt werden, die gerade einen Parkplatz gefunden haben.

Viele weitere lassen sich nennen:

Untaugliche Befragung

Zur Evaluierung gehörten auch Befragungen der Geschäfte von denen erhebliche Klagen und Proteste vorliegen. Die Befrager gingen danach in die Geschäfte und befragten in vielen Fällen nicht etwa die Eigentümer, sondern Verkäuferinnen oder Hilfskräfte, nach den Auswirkungen der Fahrradstraße auf das Geschäft, obwohl diese dies erkennbar gar nicht beurteilen konnten. Es half nichts, dass die Geschäftseigentümer dagegen protestierten.
Mit diesen Methoden hat die Befragung keinen großen Wert.
Welch drastische Auswirkungen eine Einschränkung der Erreichbarkeit für den Einzelhandel hat, konnte man während der Bauzeit von fast zwei Monaten ermessen zu der die Rü Einbahnstraße war. Wir habe die eindeutigen Rückmeldungen über die katastrophalen Umsatzeinbrücke seinerzeit dokumentiert und vorgelegt.

Durchgangsverkehr

Es besteht Einigkeit, dass Durchgangsverkehr nicht auf die Rü, sondern auf die Alfredstraße gehört und dass dieser vermindert werden sollte.

Doch wie definiert und wie mißt man diesen?
Er wurde zunächst gemessen, indem man zwischen Wittekindstraße und Klarastraße gezählt hat, wer in diesen Bereich einfährt und in drei Minuten wieder ausfährt. Diese Autos galten als Durchgangsverkehr, was eine untaugliche Definition ist. Schließlich können das auf der kurzen Strecke auch Kunden sein.

Ein solcher Wert ist natürlich um so höher, je kürzer die Messstrecke ist.

Gemessen wurden bei der ersten Messung bei gutem Wetter 14% in der einen und 15% in der anderen Richtung. Bei den neuen Messungen sind diese Werte mit 36 und 24% an Werktagen deutlich höher, obwohl man hierfür keine Begründung angeben kann. Die Maßnahmen zur Bevorzugung der Radfahrer werden sicher ehr zu einer Behinderung des Autoverkehrs führen, was die Rü, insbesondere im Kernbereich, noch weniger als ohnehin schon für den Durchgangsverkehr attraktiv macht.

Eine gute Begründung der gestiegenen Zahlen kann aber die Umfahrung der Baustelle Zweigertstraße sein.

Um in der öffentlichen Diskussion höhere Werte zur Duchsetzung von Modalsperren zu haben, hat man nachträglich kürzere Messstrecken eingeführt, die naturgemäß höhere Werte ergeben müssen. Jetzt zitiert man diese hohen Werte gerne, z.B. zwischen Martinstraße und Rüttenscheider Stern (39%/49% aus Norden und 26%/33% von Süden werktags). So kurze Strecken repräsentieren keinen Duchgangsverkehr mehr. Jeder Kunde, der auf dieser kurzen Strecke keinen Parkplatz findet, wird als Durchgangsverkehr angesehen, obwohl Parkmöglichkeiten, etwas das Parkhaus in der Bertoldstraße, als nächstes angesteuert werden könnten.

Wenn man keine Kunden vertreiben will, sollte man mit Durchgangsverkehr aber sinnvollerweise jene meinen, die von Süden kommend vielleicht zum Bahnhof, zur A40 oder in die Innenstadt wollen; oder in der anderen Richtung zur A52 oder nach Werden und die dafür die Alfredstraße nehmen sollten.
Die gewählte kurze Messstrecke umfasst zu viele Kunden, liefert also einen viel zu hohen Wert.
Ausgehend von den o.g. ursprünglichen Messergebnissen kann man gut annehmen, dass dieser auf längerer Strecke demnach um die 5-10% liegt, was angesichts des langsamen Fortkommens auf der Rü schon viel ist. Das hat auch der Gutachter eingeräumt.

Abkehr vom Einvernehmen

Es gehörte zu den vereinbarten Prämissen der Maßnahme, dass man die Betroffenen beteiligt und Einvernehmen erzielt. Auch der Gutachter stellte in seinem Gutachten fest, dass es sich auf der Rü um viele Nutzungen und Betroffene mit berechtigten Interessen handelt, die zu berücksichtigen sind. Immerhin ist es bis jetzt ein sehr erfolgreicher Einzelhandels- und Gastronomiestandort (zusammen um die 500) mit zusätzlich Hunderten weiteren Dienstleistern, den man nicht so einfach für die Interessen einzelner Gruppen opfern sollte.

Die IGR, hat zu Beginn der Diskussion alle Rüttenscheider Einzelhändler eingeladen, in Treffen und per eMail informiert und dabei ein eindeutiges Votum mitgenommen, das auch in kleinerem Kreis der Behörde vorgetragen und diskutiert wurde. Es besteht darin, dass man trotz erheblicher Opfer für die Fahrradstraße ist, weil man einvernehmlich für die Förderung des Radverkehrs ist. Jeder Verkehrsträger ist willkommen. Dies bestätigt sich auch in der zweiten Befragung mit der Zustimmung zum gefundenen Kompromiss.

Modalsperren haben aber alle abgelehnt, sowohl Firmen mit hohem, als auch jene mit geringem Autokundenanteil. Sie lenken nicht nur den Durchgangsverkehr, sondern alle Kunden um. Dies führt zu Staus auf der Rü und leitet den gesamten Verkehr in Nebenstraßen die untauglich sind oder auf eine B224, die überlastet ist und keine notwendigen Abbiegespuren hat. Die Umwege sind sehr groß und zusätzlicher Verkehr wird erzeugt, bzw. die Kunden - insbesondere die wichtigen von Außerhalb - vertrieben. Die Argumente ausführlich hier...

Um das Projekt zu fördern, wurde ein Plakat erstellt, das die meisten aufgehängt haben und das die Gemeinsamkeit der Verkehrsmittel betont.

Würde man jetzt Maßnahmen gegen die Anlieger ergreifen, wäre das ein Abweichen vom vereinbarten Einvernehmen und von einem diskutierten und aus gutem Grund vereinbarten Kompromiss.

Bewertungen und Abwägungen

Es handelt sich nicht um ein Vorhaben, das die Fahrbahn den Fußgängern, Gastronomen, Einzelhändlern o.ä. verfügbar machen soll, sondern um die Einrichung einer Fahrrad-Durchgangsstraße mit dem Ziel, möglichst vielen Radfahrern eine schnelle Nord-Süd-Verbindung zu ermöglichen. Dementsprechend ist die Hauptklage der Fahrradverbände die, dass ein schnelles Durchkommen nicht möglich sei.

Die vielen verkehrstechnischen Maßnahmen, von denen außer der Modalsperre alle geforderten umgesetzt wurden, stellen eine deutliche Verbesserung für Radfahrer, aber auch für Fußgänger dar, die schließlich auch Teil des angestrebten 25%-Modalsplits sind. Zu nennen sind: Vorrechte für Radfahrer auf der Fahrradstraße, durchgängige Vorfahrt, auffällige Markierung mit durchgängigem Schutzstreifen, Überholspuren an den Ampeln, Aufgeweitete Rad-Aufstellstreifen (ARAS), teilweise grüne Pfeine für Radfahrer etc..

Ein Großteil der Behinderungen - und das wird in den Zählungen leider nicht differenziert - liegt aber an den großen Kreuzungen, Zebrastreifen bzw. vielen kreuzenden Fußgängern/Kunden, Ampeln, notwendigem und nicht einschränkbarem Liefer- und Entsorgungsverkehr und natürlich auch Kunden-PKW. Diese Effekte sind kaum veränderbar. Die großen Querstraßen sind Hauptverkehrsachsen mit weit höherem Rang (Verkehrsleistung und -bedeutung) als die Rü, was auch dazu führt, dass sie die Ampelphasen festlegen. Hohes Fußgängeraufkommen mit vielen Querungen ist ebenso typisch und notwendig für eine Einkaufsstraße wie Logistikverkehr. Rund 500 Einzelhändler und Gastronomen müssen beliefert werden, und die inhabergeführten Fachgeschäfte bekommen Lieferungen von den unterschiedlichsten Lieferanten aus aller Welt.
Nicht als Fahrradstraße, aber als eine reine Fahrradschnellstraße ist die Rü schon aus diesen Gründen ungeeignet. Als Teil des Hauptroutennetzes besteht aber die Erwartung einen schnellen Durchgangsverkehr zu gewährleisten. Jetzt wird die Situation an diesen hohen Erwartungen gemessen und entsprechend kritisch beurteilt.

Trotzdem sollte man die Verbesserungen und den Kompromiss nicht gering schätzen.

Statt nur den Forderungen eines Verkehrsträgers zu folgen sollte man alles Betroffenen sehen und weitere Verbesserungen im Detail in Betracht ziehen, die sich aus den Klagen ergeben. Wenn Lieferverkehr zu oft eine Behinderung darstellt, sollte man hierfür die Lage verbessern, denn schließlich sind die vielen Ladezonen oft nicht nutzbar. Auch die Überholstreifen könnten zum Teil länger sein.

Fazit

Die Fahrradstraße hat sicher erhebliche Vorteile für Fußgänger und Radfahrer gebracht, auch, wenn sich jeder mehr wünschen würde. Mit Verweis auf die angestrebte Einvernehmlichkeit mit den vielen Betroffenen sowie den guten Zustand der floriendenden Einkaufsmeile, die nicht geschädigt werden soll, treten wir weiterhin gegen die Modalsperren ein und für den mühevoll erreichten Kompromiss, der sich nicht allein an einer Gruppe orientieren kann. Die Mängel der Erhebung wurden hinreichend belegt. Der Zeitpunkt während der Pandemie und während einer relevanten Großbaustelle ist untauglich.

Alle Verkehrsträger sind in Rüttenscheid willkommen und gegenseitige Rücksichtnahme und Toleranz ist übliche Praxis in Rüttenscheid, für die wir weiter eintreten, um unseren Stadtteil auch weiterhin attraktiv für alle zu erhalten. Das ist auch im Sinne ganz Essens und der Rüttenscheider Bürger, die die Qualitäten des Viertels schätzen.

Rolf Krane


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