RÜTTENSCHEID - Gute Zeit.

Erste Kirchen, Schulen, Altenhof

Die Geschichte Rüttenscheids - Teil II: Kirchen, Schulen, Altenhof

Viele neue Kirchen

Wie stark die Bevölkerung auch nach der Jahrhundertwende anwuchs, lässt sich an der Anzahl und Größe von Kirchenbauten jener Jahre ablesen.

Schon 1890 hatten die Katholiken ihre erste heilige Messe in der St. Ludgeruskirche feiern können, nachdem sie sich lange in die viel zu kleine Siechenkapelle hatten drängen müssen, wenn ihnen der Weg zur Stadt oder nach Rellinghausen zu weit war. 1894 durften sie sich auch Pfarrgemeinde nennen. Kaum vierzig Jahre später musste diese erste Kirche bereits durch einen Umbau erweitert werden, obschon inzwischen auch an anderer Stelle gebaut worden war.

Bald nach der Fertigstellung der Ludgeruskirche brauchten nämlich die rund 6.000 Gemeindemitglieder des Vöklinghauser Bereichs ein eigenes Gotteshaus. Es entstand um 1906 als St. Andreaskirche an der Rosastraße. Offenbar waren der Gemeinde nach dem 1. Weltkrieg ein paar gute Jahre beschert. Denn sie konnte den bekannten Architekten Georg Metzendorf, Erbauer der Margarethenhöhe, mit der Planung mehrerer Wohnund Zweckbauten in der Odastraße betrauen. Diese Häuser stehen jetzt wegen ihrer damals sehr progressiven Bauweise unter Denkmalschutz.

Die Anzahl der evangelischen Christen in Rüttenscheid, Anfang des 19. Jahrhunderts kaum eine Hand voll, war hundert Jahre später durch Zuzug auf 2.000 angestiegen, so dass auch sie eine selbständige Gemeinde bildeten, die ein eigenes Gotteshaus benötigte. Im November 1902 kann in der Reformationskirche, die in kurzer Zeit an der Ecke Martinstraße / Alfredstraße errichtet wurde, der erste Gottesdienst gefeiert werden. Nur gut vierzig Jahre stand sie dort. Ebenso wie das Gemeindehaus in der Julienstraße, wurde sie durch mehrere Bombenangriffe völlig zerstört. Einem Wiederaufbau an gleicher Stelle standen in der Nachkriegszeit zu viele Schwierigkeiten im Wege. So entschloss sich das Presbyterium, den zerstörten Saal des Ernst-Moritz-Arndt-Hauses in der Julienstraße in eine Saalkirche umbauen zu lassen. 1963 erhielt die weiter angewachsene Gemeinde mit der Versöhnungskirche an der Alfredstraße nahe der Bredeneyer Grenze ein zweites Gotteshaus.

… und noch mehr Schulen

Als im Dezember 1856 gegenüber der Siechenkapelle die erste Rüttenscheider Schule ? zugleich das erste öffentliche Gebäude - die Pforten öffnete, dürften die Rüttenscheider Kinder froh gewesen sein, nicht mehr den weiten Weg zu den benachbarten Ortschaften machen zu müssen. Noch reichte ihre Anzahl, um sie auf zwei Klassen zu verteilen. Doch schon 1875 wurde das zweite Schulgebäude, die katholische Knabenschule nahe dem heutigen Grugaplatz eröffnet.

Das 19. Jahrhundert war ja ein ganz und gar konfessionell geprägtes Zeitalter. Da nun auch immer mehr Protestanten nach Rüttenscheid zogen und zu dieser Zeit bereits 105 schulpflichtige evangelische Kinder in Rüttenscheid lebten, wurde beschlossen, ihnen eine eigene einklassige Schule einzurichten. Dabei blieb es natürlich nicht und auch nicht bei diesen drei Volksschulen, wie sie damals hießen.

Im Jahr 1898 folgte eine ‘Fortbildungsschule für die schulentlassene Jugend’. Und ein Jahr später wurde an der Rüttenscheider Straße eine Rektoratsschule errichtet. Aus ihr ging die Goetheschule als Gymnasium für Jungen hervor. Das erste Schulgebäude war kein Prachtbau. Rektor- und Lehrerzimmer lagen neben einem Ziegenstall. Und das Lehrerkollegium bestand anfangs aus dem Rektor, drei Volksschullehrern sowie den Geistlichen der beiden christlichen Konfessionen. 1905 aber konnte man in den stattlichen Neubau an der Alfredstraße umziehen, der die Handschrift des Charlottenburger Architekten Kuhlmann trug, der schon das Rüttenscheider Rathaus entworfen hatte.

Einer der schwersten Bombenangriffe im April 1944 zerstörte das Schulgebäude völlig. Es wurde nicht wieder aufgebaut. Die Rüttenscheider Goetheschule wurde nach dem Krieg mit dem Bredeneyer Gymnasium zusammengelegt. Den Namen nahm sie mit dorthin.

Verlust hier – Gewinn dort! Das Helmholtz- Gymnasium erlitt hinsichtlich seines Schulgebäudes, das bis 1943 in der Heinickestraße gestanden hatte, ein ähnliches Schicksal. Auch hier sah man von einem Wiederaufbau an gleicher Stelle ab und verlegte dieses Gymnasium nun nach Rüttenscheid, wo es im Jahr 1958 in einen Neubau einziehen konnte. Als eine Eliteschule des Sports hat Rüttenscheid damit heute eine Schule, die weit über die Stadtgrenzen hinaus einen Ruf hat. Ihr ist inzwischen ein Sportinternat angegliedert.

In enger Anbindung an dieses sportlich ausgerichtete Gymnasium entstand 1974 das Schwimmzentrum Rüttenscheid auf dem Gelände des letzten noch existierenden Vöcklinghauser Hofes.

Man könnte fast von einem „Bildungszentrum Rüttenscheid“ sprechen, in das sich der alte Siedlungskern der Vöcklinghauser Höfegruppe allmählich verwandelte. Schon 1927 erfolgte der erste Spatenstich für den Neubau eines Evangelischen Reformgymnasiums für Mädchen. Die vernachlässigte Mädchenbildung stand am Anfang dieser privaten Schulgründung durch die Pfarrerstochter Maria Wächtler, nach der die Schule später auch genannt wurde. Gegen manchen Widerstand hatte sie zu kämpfen gehabt, bis 1892 in zwei Räumen eines Mietshauses nahe dem Stadtgarten für 42 Mädchen der erste Unterricht am Evangelischen Lyzeum beginnen konnte. Heute dürfen auch Jungen an dem bilingualen Gymnasium lernen.

Mit der Verlegung der Pädagogischen Hochschule von Kupferdreh in einen Neubau an der Henri-Dunant-Straße im Jahre 1964 war Rüttenscheid sogar für eine kurze Weile Hochschulstandort. Die später gegründete Gesamthochschule Essen sog jedoch diesen Hochschulzweig auf und ließ die Rüttenscheider Hochschuljahre zur Episode werden.

Auch Krupp kam nach Rüttenscheid

Krupp und Essen, das klingt fast wie eine Zwillingsformel.- Aber Krupp und Rüttenscheid? Nein, seine Produktion verlegte Alfred Krupp (1812-1887) nicht hierher. Und seine prächtige Villa hatte er 1873 südlich von Rüttenscheid auf dem Hügel über der Ruhr erbauen lassen. Aber der Weg zu seinem Gusstahlwerk führte ihn Tag für Tag durch Rüttenscheid. Dieser Weg, unter wesentlicher Beteiligung der Firma Krupp zur befestigten Straße ausgebaut, heißt seit 1897 Alfredstraße, damals noch versehen mit einem Reitweg für den Namensgeber.

Das sollte nicht das einzige bauliche Engagement der Krupps in Rüttenscheid bleiben. War man mit der Arbeiterkolonie Baumhof an der heutigen Baumhofstraße um 1890 bereits direkt vor die Tore Rüttenscheids gerückt, so gab ein von Krupparbeitern gestiftetes Denkmal zu Ehren des Firmengründers seinem Sohn und Nachfolger Friedrich Alfred (1854-1902) den Anstoß zu einer besonderen Wohnungsstiftung. Auf bereits erworbenem Land zwischen der Eisenbahnlinie und der Zeche Langenbrahm sollte am Waldesrand eine Siedlung entstehen, in der “alte, invalide Arbeiter - auch Arbeiterwitwen - mietfrei bis zu ihrem Lebensende“ wohnen können.

Die Idee der Siedlung Altenhof wurde ab 1893 in mehreren Schritten umgesetzt. Der erste Bauabschnitt aus abwechslungsreich gestalteten Häusern war nach drei Jahren fertiggestellt. Diese “malerisch aufgeputzten” Häuser pries Baedeker 1912 im örtlichen Reiseführer als besondere Sehenswürdigkeit. Doch sie mussten später dem Krankhausneubau weichen. Nur der als Eingangstor zur gartenstadtähnlichen Siedlung geschaffene Gußmannplatz, vier charakteristische Wohnhäuser, zwei so genannte “Pfründnerhäuser” und die ehemalige katholische Kapelle (heute simultan genutzt) existieren noch und wurden unter Denkmalschutz gestellt. Es verdient Erwähnung, dass zur Einweihung der evangelischen Kapelle - es gab ehemals für jede Konfession eine eigene – Kaiser Wilhelm II. zu Besuch kam und die Zeremonie persönlich vornahm.

Am anderen Ende Rüttenscheids nahm zehn Jahre später die inzwischen verwitwete Margarethe Krupp (1854-1931) ein weiteres Wohnungsbauprojekt in Angriff. Sie richtete 1906 aus Anlass der Hochzeit ihrer Tochter Bertha (1886-1947) mit Gustav von Bohlen und Halbach (1870- 1950) eine Stiftung ein, aus deren Vermögen die Margarethenhöhe entstand. Diese vom Architekten Georg Metzendorf geplante Siedlung zählt noch immer zu den anspruchsvollsten Siedlungsprojekten, die in Deutschland realisiert wurden. Weil hier gleichermaßen soziale Ideen wie Ideen der Gartenstadtbewegung einflossen, steht auch sie unter Denkmalschutz.

Das Gelände gehörte seit Jahrhunderten zu Rüttenscheid. Erst 1948 wird es ein eigener Stadtbezirk. Mit diesem nun abgetrennten Teil – der einstigen Rüttenscheider Flur C – verlor Rüttenscheid das letzte Relikt seiner bäuerlichen Kultur, den Hülsmannshof am Nachtigallental. Er ist heute eine beliebte Gaststätte mit historischem Charakter.

Alfried Krupps Krankenhaus

Begonnen hatte es an anderer Stelle und Anlass war ein Krieg. Bei Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 verfügte Alfred Krupp die Errichtung eines Barackenlazaretts in der Nähe seiner Gussstahlfabrik. Die Lazarettstraße erinnert noch an den Standort.

Das Lazarett durfte nach Kriegsende als Krankenhaus für die Arbeiter seiner Fabrik weiter genutzt werden. Bald fanden auch deren Frauen und Kinder darin Aufnahme. Es entwickelte sich bis 1920 zu einem Werkskrankenhaus mit fast 600 Betten. Für die vorbeugende wie die nachsorgende Gesundheitspflege ließ sein Sohn Friedrich Alfred Krupp 1897 am Waldrand beim Altenhof in Rüttenscheid fünf Erholungshäuser für seine Arbeiter errichten. Zur Erinnerung an den kaiserlichen Besuch im Vorjahr wird die Einrichtung Kaiserin-Auguste-Viktoria-Erholungshaus genannt. Tochter Bertha Krupp veranlasste auf dem gleichen Gelände den Bau des Wöchnerinnenheims. Beide Einrichtungen gehörten ab 1920 zu den Kruppschen Krankenanstalten und standen fortan auch “Nicht-Kruppianern” offen.

Das Krankenhaus im Stadtinneren war 1945 vollständig zerstört, die Häuser im Altenhof immerhin reparabel. So wurde nach deren Instandsetzung die Arbeit des Krankenhauses hier fortgeführt. 1960 zählten die Krupp Krankenanstalten mit 550 Betten wieder zur Spitzengruppe der Essener Krankenhäuser.

Um auch für die medizinischen Anforderungen der Zukunft gerüstet zu sein, plante der letzte Firmeninhaber Alfried Krupp von Bohlen und Halbach schon 1963 einen Neubau.

Sein Tod verzögerte die Umsetzung. 1971 nahm die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung die Pläne wieder auf. 1980 konnte das Alfried Krupp Krankenhaus in einem (fast) fertiggestellten Neubau seine Dienste nach aktuellstem medizinischen Stand anbieten. Mit einigen seiner Fachabteilungen geht sein Ruf auch über Essener Grenzen hinaus.


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