RÜTTENSCHEID - Gute Zeit.

Rüttenscheid - Werden und Wandel

Rüttenscheid - Werden und Wandel // von Marlies Holle

Wer sich heute die lebhafte und dicht bebaute Rüttenscheider Straße entlang treiben lässt, wird sich kaum vorstellen können, dass vor gut zweihundert Jahren an der pulsierenden Hauptader des Stadtteils und um sie herum kein einziges Wohnhaus gestanden hat.

Bauernleben zwischen Reichsabtei und Frauenstift: Rüttenscheid von 950 bis 1803

Die Urzelle

Dem Namen Rüttenscheid begegnen wir erstmals in einer Schenkungsnotiz des Klosters Werden. Der Aufzeichnung ist zu entnehmen, dass um das Jahr 970 n. Chr. ein gewisser Frithuric für das Seelenheil seines Bruders “sancto Ludgero territorium unum in Rudenscethe eu mansis et mancipiis et eum omni utilitate” also der Abtei des heiligen Ludger ein Gebiet in “Rüttenscheid” mit Hofstätten, Leibeigenen und allen Nutzungen übergeben hat. Eine eigentliche Urkunde existiert nicht. Schenkungen von Privatpersonen wurden vielfach nur in einem ‘Schenkungsbuch’ aufnotiert, was für die

damalige Zeit Rechtscharakter besaß. Warum Frithuric bei seiner Stiftung nicht das Essener Frauenstift bedachte, zu dessen Hoheitsgebiet die Rüttenscheider Höfe bis zum Jahre 1803 gehörten, sondern das Werdener Kloster, lässt sich nicht sagen. Es mag mit der besonderen Verehrung zusammenhängen, die dessen Stiftsgründer Ludgerus genoss. Seine Grabstätte in der Werdener Abteikirche war schon früh ein Pilgerziel. Vielleicht waren aber auch die territorialen Grenzen noch gar nicht so klar und dauerhaft umrissen. Das ist indessen zweihundert Jahre später schon anders. Um 1230 wird die Essener Äbtissin vom damaligen König Heinrich (VII.) erstmals als Fürstin angesprochen. Und ihr Fürstentum hat im Essener Raum auch klare Konturen. Rüttenscheid gehört dazu.

Dieses Rudenscethe, auf das sich die Schenkung des Frithuric bezieht, hat zur Zeit seiner ersten Erwähnung aber noch keinesfalls den gesamten Raum umfasst, der später Rüttenscheid genannt wurde. Die Lage dieser Rüttenscheider Höfe wird erst greifbar über Belege zu Anfang des 13. Jahrhunderts. Da werden im Einkünfteregister des (in Haarzopf gelegenen) Werdener Propsteihofes Raadt die Rüttenscheider Höfe Altenhof, Ridder, Kammann und Beckmann aufgeführt. Sie sind – mit Ausnahme des später aufgelösten Altenhofes – noch nach fünfhundert Jahren in der Honigmannkarte von 1805 auszumachen. Der ebenfalls dort liegende Rüttenscheider Montaghof war aber inzwischen im Besitz des Essener Frauenstiftes, wie überhaupt nach und nach mancher ehemalige Besitz Werdens ganz oder teilweise in andere Hände kam. Das hatte dann immer mal wieder – wie etwa im Fall der erst später erwähnten Silberkuhle – zu Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Stift Werden und Essener Neubesitzern geführt.

All diese Höfe sind heute verschwunden. Sie sind unter meterhoher Aufschüttung von Weltkriegstrümmern im Bereich der inzwischen auch schon wieder Geschichte gewordenen Festwiese begraben, sie wurden von Messehallen überbaut, und sie wurden zu einem Teil in den Grugapark integriert. An dieser letztgenannten Stelle lässt sich vage nachvollziehen, wie Rüttenscheid zu seinem Namen kam. Die neuere Forschung neigt dazu, den Namen Rüttenscheid vom altsächsischen “hriudi” – das bedeutet Riedgras – abzuleiten. Demnach hätten die Höfe, die Frithuric dem Werdener Kloster schenkte in einem Feuchtgebiet gelegen, welches sich durch üppigen Riedgrasbewuchs oder durch den Schnitt dieses Grases einen Namen gemacht hatte. Das scheint plausibel; denn die Region zeichnet sich bis heute durch einen feuchten und lehmigen Grund aus, auf dem dieser vielseitige Rohstoff sicher gut gedeihen konnte.

Der Vöcklinghauser Zehnt

Früher noch als der Name Rüttenscheids in den Urkunden erscheint, finden wir den erst später zu Rüttenscheid zählenden östlichen Teil Vöcklinghausen urkundlich erwähnt. Das in alten Flurkarten als “Rüttenscheider Flur B” bezeichnete Gebiet liegt grob umrissen zwischen Emma-, Rüttenscheider, Klara- und Rellinghauser Straße und der A 52. Es entspricht in etwa dem Bereich der ab 943 nach Werden zehntpflichtigen Vöcklinghauser Höfe, die wir in einer Urkunde des Düsseldorfer Staatsarchivs genannt finden, damals noch Fugalinghuson heißend.

Die Urkunde sagt aus, dass der Kölner Erzbischof Wigfried anlässlich der Kirchturmweihe der Werdener Stiftskirche St. Ludgerus den Kirchenzehnt von Rellinghausen, Bergerhausen und Vöcklinghausen eben diese Kirche und damit der Abtei zuweist.

Doch das blieb nicht lange so. Um 998 muss – ohne dass bislang Details darüber zu ermitteln sind – die Essener Äbtissin Mathilde diese Gebiete erworben haben. Damit gehörte Vöcklinghausen politisch zum Essener Stiftsgebiet. Der Kirchenzehnt wurde jedoch auch danach noch teilweise an das Werdener Kloster entrichtet. Auf dem Edelhof Ruoldinghus gründete die gleiche Äbtissin das zeitweilig selbständige Filialstift Rellinghausen, dem auch ein Teil Vöcklinghausens zugeordnet war.
Die Vöcklinghauser Höfegruppe lebt heute nur noch im Straßennamen fort. Ihr Gebiet umfasste auch den Bereich des heutigen Rüttenscheider Marktes, ein ganz wesentliches Stück Rüttenscheider Identität. Auf dem Gelände des letzten nach dem Zweiten Weltkrieg noch existierenden Vöcklinghauser Hofes wurde 1974 das Schwimmzentrum Rüttenscheid errichtet. In seinem Umfeld haben die übrigen Höfe gelegen.

Frühe Rüttenscheider Geschichte – 800 Jahre lang nichts als Bauernleben? Mitnichten! Aus der zweifelsfrei dominanten Gruppe derjenigen, die ausschließlich Landwirtschaft betrieben, setzten sich früh ein paar Menschen ab, die auch anderen Tätigkeiten nachgingen, dadurch steinerne Denkmale schufen und ein bunteres Bild von der damaligen Bauerschaft vermitteln. Wenden wir uns darum ihnen zu.

Silber vor Kohle

Ja, damit kann Rüttenscheids Geschichte trumpfen! Silberbergbau, bevor man in Essen der Kohle wegen in die Tiefe stieg. Zunächst haben wir allerdings nur einen indirekten Hinweis auf frühen Silberbergbau in der Bauerschaft. In einer Urkunde aus dem Jahre 1354 wird beim Verkauf eines Stück Landes dessen Lage angegeben “subtus speluncam dictus Sylverkule” – also unterhalb der Grube, die Silberkuhle genannt wird. Diese Angabe ließ den Schluss zu, dass man in Rüttenscheid damals schon nach Silber grub. Doch belegbar war es noch nicht. Erst in einer Pachturkunde von 1476 und in einer Abrechnung von 1563 wird davon gesprochen, dass in der Sylverkule Blei abgebaut wird. Aber wieso dann eigentlich Silberkuhle?

Weder Blei noch Silber kommen in der Regel in reiner Form vor. Meist tritt Silber in Verbindung mit Blei oder Kupfer auf. Oft entschied die Höhe des Silberanteils über die Wirtschaftlichkeit des Abbaus. Vermutlich war er in der Rüttenscheider Grube recht hoch, so dass man sie nach dem höher bewerteten Metall benannte.

Doch sollte man auch die wirtschaftliche Bedeutung von Blei nicht unter den Tisch fallen lassen. Es war sehr gefragt als Dach- und Fensterblei und leider auch für die Geschosse der schon erfundenen Feuerwaffen. Blei ließ sich also gut ver’silbern’.

In der Urkunde von 1476 verpachtete Johann von dem Steinhaus, Essener Ratmann und zeitweiliger Bürgermeister, das Gut zur Silberkuhle an den Kaufmann Johann Amelung. Interessant ist hier, dass auch schon von einer Haftung für Bergschäden die Rede ist. Und dass der Silberanteil tatsächlich keine Nebenrolle spielte, lässt sich aus geschäftlichen Beziehungen Amelungens mit Münzern in Essen und Broich schließen.

In der zweiten Urkunde von 1563 bringt der damalige Kellermeister und spätere Abt des Werdener Klosters, Heinrich Duden, eine genaue Abrechnung zu Pergament.

Der darin aufgelistete Gewinn von 194 Gulden (s. Abb.) muss für die damalige Zeit recht hoch gewesen sein. Das weckte Begehrlichkeiten. Und so erinnerte sich der Rat der Stadt Essen daran, dass das Erz ja auf Essener Gebiet gefunden wurde und der Hof zudem “schon lange” im Besitz des Essener Hospitals ‘Zum Heiligen Geist’ (eine Sozialeinrichtung der Essener Bürger) sei. Das Bergwerk wurde beschlagnahmt. Die nachfolgende gerichtliche Auseinandersetzung ging wohl zu Gunsten der Stadt Essen aus; denn im Jahre 1578 tritt der Essener Magistrat als Verpächter des Bergwerks auf. Ein Teil des Ertrages sollte den Armen der Stadt zugute kommen.

Auch später wurde wieder um die Rechte an der Silberkuhle gestritten. Ein im Jahre 1665 von der Stadt Essen beauftragter Notar sollte die Grenzverhältnisse klären. Aufgefundene Grenzsteine bewiesen, dass der Silberkuhlshof, also der bei der Silberkuhle errichte Hof, auf Essener Gebiet lag.

Doch lohnend dürfte Abbau der Erze um diese Zeit bereits nicht mehr gewesen sein. Das bleihaltige Gestein war in den oberen Schichten abgebaut. Ein Schürfen in größerer Tiefe war wegen des feuchten Grundes mit zu hohen Kosten verbunden. So gab man den Abbaubetrieb im 17. Jahrhundert auf. Nur der Hutturm blieb erhalten, ein quadratischer, äußerst wehrhafter Turm mit anderthalb Meter starken Mauern und Schießscharten, hinter denen man einst das wertvolle Metall gelagert hatte. Man umbaute den Turm und integrierte ihn in den Silberkuhlshof.

Der Name des Hofes ging auf die Bauern über, die ihn als Pächter bewirtschafteten. Einer dieser Silberkuhls heiratete in den nahe gelegenen Schultehof ein und nannte sich Schulte- Silberkuhl. Nach ihm hieß die bis 2008 dort liegende Gaststätte Silberkuhlshof.

Der eigentliche Hof Silberkuhl verschwand gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Der Turm selbst aber überlebte auch die Essener Dampfziegelei, die danach auf dem Hofgelände betrieben wurde. Doch auch sie verschwand. Der Turm blieb stehen. Bis zum Jahre 1950. Dann musste er für das geplante Sportstadion weichen. Seine Fundamente wurden von einer meterhohen Schicht Trümmerschutt überdeckt. Zuvor aber wurde er archäologisch untersucht, die Ergebnisse in Bild und Wort festgehalten.

Aber auch das Stadion hatte keinen Bestand. Einmal, beim deutschen Turnfest im Jahre 1963, war es Schauplatz einer sportlichen Großveranstaltung. Dann wurde es Opfer städtischer Finanznot.

Als dieses Gelände im Jahre 2001 wieder einmal verplant wurde, durfte noch einmal in großem Umfang gegraben werden. Erst diese Ausgrabungen lieferten greifbare Belege für einen systematischen Erzabbau bereits um die Mitte des 14. Jahrhunderts. So konnte etwa ein aufgefundenes Grubenholz auf das Fälldatum zwischen 1330 und 1370 datiert werden. Das ließ frühere Vermutungen zur Gewissheit werden.

Nun ruht der Turmstumpf als Bodendenkmal wieder unter der Erde zwischen den Hochtief-Bürobauten und der neuen E.ON-Ruhrgas-Hauptverwaltung.

Am Weg und doch am Rande: die Siechenkapelle

Abseits all dieser Höfegruppen, die später zur Gemeinde Rüttenscheid zusammenwuchsen, stand – zugleich von ihnen umgeben – eine kleine Kapelle, die Siechenkapelle. Sie steht heute noch an gleicher Stelle. Erbaut wurde sie dank einer Stiftung im Jahre 1442 zu dem Zweck, die Siechen, d. h. die Leprakranken, seelsorgerisch zu betreuen.

Die Lepra, auch Aussatz genannt, ist eine durch Bakterien verursachte Infektionskrankheit, die zu charakteristischen Veränderungen der Haut und Nervenstränge führt. Sie wird schon in der Bibel beschrieben und galt als unheilbar. Im Gefolge der Kreuzzüge des 11. und 12. Jahrhunderts kam es in Europa zur Verbreitung dieser Krankheit.

Aus Angst vor Ansteckung sonderte man die Erkrankten ab, setzte sie aus. Zugleich aber gebot die christliche Nächstenliebe, für sie zu sorgen. So entstanden die so genannten Leprosen- oder Siechenhäuser. Schon um 1320 ist ein Essener Siechenhaus erwähnt. 1410 wurde eine Stiftung zu Gunsten des schon existierenden Siechenhauses gemacht. Auch wurden bisweilen Kollekten für die Erkrankten abgehalten.

Sehr groß war die Anzahl der Kranken wohl nie. Im Jahr 1544 leben sieben Kranke auf dem Leprosenhof. 1670 stirbt der letzte Insasse. Der Hof wird verpachtet, 1784 abgebrochen, 1860 das Gelände verkauft.

Stiftungen wie auch gelegentliche Kollekten reichten aber offenbar nicht aus, den Lebensunterhalt der Ausgesetzten zu sichern. Darum war es ihnen erlaubt, am nahe gelegenen Fernweg, der heutigen Rüttenscheider Straße, zu betteln. Damit ihnen aber niemand zu nahe kam und sich ansteckte, waren sie gehalten, durch akustische Signale – die Klapper, ein Hornsignal oder durch Rufen – auf sich aufmerksam machen.

Zu dem Hof, auf dem und von dem die Kranken lebten, gehörte ein Obst- und Gemüsegarten. So weit es ihnen möglich war, mussten die Kranken sich bei der Arbeit auf dem Hof mit einbringen.

Da die Erkrankten möglichst nicht die von der Allgemeinheit genutzten Gotteshäuser besuchen durften, mag es ihnen ein besonderer Trost gewesen sein, als durch eine gesonderte Stiftung im Jahre 1442 für sie eine Kapelle errichtet wurde. Eine weitere Stiftung, nämlich der Heymannshof mit seinen Einkünften, sicherte dann die regelmäßige Betreuung durch einen Geistlichen. Dieser Hof, zuletzt als Ausflugslokal betrieben, wurde im 2. Weltkrieg zerstört und nicht wieder aufgebaut. Heute erinnert der Heymannplatz an ihn.

Nur die Kapelle hat die Zeiten überstanden. Mehrmals wurde ihr Abriss gefordert. Doch immer wieder fanden sich Menschen, die um den Erhalt dieses wertvollen Kulturdenkmals kämpften. Liebevoll restauriert steht die Kapelle nun einladend als Ort der Stille an der so umtriebigen Rüttenscheider Straße. Eine kleine Pietá ist der einzige mittelalterliche Schmuck in diesem kleinen Kirchenraum. Ob die Essener Leprosen bei dieser trauernden Mutter Gottes ihren Trost suchten, kann nicht gesagt werden, denn über die Herkunft der Figur ist nichts bekannt.

Keine Liebesheirat mit Rellinghausen

Neben den politischen Umbrüchen hatte inzwischen die Industriealisierung Landschaft und Lebensverhältnisse hier im Raum in nie gekanntem Maße verändert. Vor allem die Bevölkerungszahlen waren durch Zuwanderung in und um Essen herum nahezu explodiert. Mit ihnen wuchsen die Verwaltungsaufgaben. Das führte zu Überlegungen, die riesigen Bürgermeistereien aufzuteilen. Und so kam auch Rüttenscheid wieder in andere Hände.

In einer Zeit ohne Autos und Straßenbahnen hätte es ja eigentlich Begeisterung auslösen müssen, dass die Rüttenscheider Bürger ab 1884 statt vom weit entfernten Stoppenberg aus verwaltet zu werden, nun zur neu gegründeten Bürgermeisterei Rellinghausen gehören sollten. Aber nichts dergleichen! In einer harschen Protestnote wehrte sich der Gemeinderat gegen den Plan, aus dem bisherigen Gemeindeverband, dem er “seit Urzeiten angehört” habe, ausgeschieden zu werden. Der Gang zur Bürgermeisterei Rellinghausen wurde als “zu beschwerlich” beschrieben. Dabei existierte ja seit 1879 eine Eisenbahnverbindung nach Rellinghausen. Die wahren Motive dieser Abneigung sind schwer zu ergründen. Der Protest blieb jedoch auch wirkungslos. Die Eingemeindung nach Rellinghausen wurde vollzogen. Doch der Widerstand gegen die ungeliebte Ehe blieb. Ein stetes Anwachsen der Einwohnerzahlen in Rüttenscheid und die Beharrlichkeit seiner schon damals recht selbstbewussten Bürger führten schließlich doch zum Ziel.

Endlich selbständig!

Als der preußische Minister des Inneren die Trennung von Rellinghausen genehmigte und Rüttenscheid im Jahr 1900 in die Selbständigkeit entlassen wurde, lebten dort inzwischen rund 15.000 Menschen, darunter viele wohlhabende Bürger. Die fühlten sich finanziell stark genug, den Bau eines Rathauses in Angriff zu nehmen. Im April des nachfolgenden Jahres wurde der erste Spatenstich gemacht. Knapp zwei Jahre später konnte es eingeweiht werden, gerade rechtzeitig, bevor mehrere große Streikwellen der (inzwischen organisierten) Bauarbeiter aller Sparten die Fertigstellung noch verzögert hätten.

Trotzdem diente das nach Plänen des renommierten Berliner Architekten Kuhlmann errichtete Gebäude nur zwei kurze Jahre seiner eigentlichen Bestimmung als Rathaus einer selbständigen Bürgergemeinde. Inzwischen waren andernorts nämlich ganz neue Pläne gereift.

Wieder unter Essener Hut

Schon im Jahre 1890 hatte der Essener Oberbürgermeister Zweigert die Eingemeindung Rüttenscheids nach Essen ins Auge gefasst. Doch sein Werben bei den Rüttenscheidern war zunächst vergeblich. Zweigert allerdings gab den Plan nicht auf. Und das mit gutem Grund.

Viele der wohlhabenden Rüttenscheider Bürger verdienten ihr Geld in Essen. Sie bezogen von dort seit geraumer Zeit elektrischen Strom, sauberes Wasser und entsorgten das schmutzige Wasser ebenfalls dorthin. Sie nahmen auch häufig die kulturellen Angebote der Stadt Essen in Anspruch. Ihre Steuern jedoch zahlten sie in Rüttenscheid, deutlich niedrigere als sie in Essen zu zahlen gehabt hätten.

Zweigerts Argumente müssen am Ende aber doch überzeugend gewesen sein, und außerdem kam er nicht mit leeren Händen, als im Februar 1905 die Eingemeindung Rüttenscheids nach Essen unterzeichnet wurde. Ein bisschen Bestechung soll auch im Spiel gewesen sein. Bürgermeister Hild wurde zudem für seinen Amtsverzicht mit 100.000 Goldmark abgefunden. Sechs Monate später war Rüttenscheid ein Stadtteil der Großstadt Essen. Und was für ein Stadtteil!

Bonbons zur Eingemeindung

Von den Geschenken, mit denen der Essener Oberbürgermeister Zweigert den Rüttenscheidern ihren Verlust an Selbständigkeit versüßte, seien nur drei genannt, die erheblich zur Aufwertung Rüttenscheids beitrugen und noch heute das Bild des Stadtteils prägen.

Im Jahre 1906 erhielt Rüttenscheid die Marktrechte verliehen. An zentraler Stelle wird ein großer Platz dafür hergerichtet, den ein Brunnen ziert. Dieser Brunnen überstand den 2. Weltkrieg nicht, wie auch viele Häuser rings um den Markt zerstört wurden. Der Markt selbst ist heute ein wahrer Magnet, der Menschen aus allen Stadtteilen und sogar über die Stadtgrenze hinweg nach Rüttenscheid lockt. Er ist ein Rüttenscheider Markenzeichen geworden.

Mit dem im Mai 1913 eingeweihten Amts- und Landgericht an der Zweigertstraße erhielt Rüttenscheid nicht nur einen repräsentativen Verwaltungsbau. Auch zahlreiche Anwälte zog es verstärkt nach Rüttenscheid.Die neobarocke Außenfront entsprach dem Zeitgeschmack. Das auch innen recht pompös ausgestatte Gebäude galt jedenfalls damals als eines der schönsten Justizgebäude im Königreich Preußen. Von dieser neobarocken Pracht war nach dem 2. Weltkrieg nichts mehr geblieben. Auf dem Grundriss des alten Justizgebäudes wurde zwischen 1951 und 1956 ein bewusst sachlicherer Neubau errichtet. Schon 1906 war mit dem bereits geplanten Justizneubau eine großzügige Straße mit Mittelpromenade angelegt worden. Sie hatte zunächst Felixstraße geheißen und war nach dem Tod des rührigen Essener Oberbürgermeisters in Zweigertstraße umbenannt worden. Diese noch immer sehr schöne Straße erhöhte die Attraktivität des Viertels und zog weitere Verwaltungsbauten nach sich.

Eines davon war die Königliche Polizeidirektion, die 1909 in Essen eingerichtet worden war, aber anfangs noch kein zentrales Dienstgebäude besaß. Auf dem Gelände des früheren Haumannhofes, das Zweigert in weiser Voraussicht schon vor der Eingemeindung erworben hatte, fand man den richtigen Bauplatz in passender Umgebung. Der Baubeginn zögerte sich bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges hinaus. Und erst an dessen Ende 1918 wurde der Bau fertiggestellt, etwas weniger protzig als das gegenüber liegende Gerichtsgebäude.

Lichte Zeiten – dunkle Jahre

Als 1903 die Gemeinde Rüttenscheid ihr Rathaus mit einer Jubelfeier einweihte, gaben Dankgebet, Kaisermarsch, patriotisches Festlied und ein Hoch auf Seine Majestät der Feier den Rahmen. Will man in der damaligen Festordnung einen Spiegel der Gesellschaft sehen, kann man sie mit knappen Worten als “fromm, patriotisch, kaisertreu” beschreiben.

Viele Menschen, die damals in Rüttenscheid lebten, mögen ihre Zeit als “gute Zeit” bewertet haben. Mehr als ein Viertel stand direkt oder indirekt bei Krupp in Brot und Arbeit und verdiente wohl nicht schlecht. Die oft üppigen neobarocken Verzierungen ihrer Häuser demonstrierten gestiegenen Wohlstand. Der damit einhergehende, seit langem geförderte bürgerliche Nationalstolz offenbarte sich auf Familienfotos. Da präsentierte man die Kinder vorzugsweise mit dem “echten Kieler Matrosenanzug”, quasi die Wertmarke dieses Stolzes. Bei den Jungen bekam er durch Pickelhauben oft noch einen martialischen Akzent.

Die Krupp-Werke im Westen der Stadt produzierten nicht nur Stahl und Eisenbahnschienen. Sie hatten sich zu einem der weltgrößten Rüstungsbetriebe entwickelt. Mächtige Geschütze wie die “Dicke Bertha” sollten bald in Kaisers Namen zum Einsatz kommen, 1914, als dieser die jungen Männer in den Krieg schickte. Essener Chroniken zufolge sollen sich besonders Oberschüler begeistert und freiwillig gemeldet haben, um “deutsche Kultur, die Kultur der Wahrheit, Reinheit und Frömmigkeit … zu verteidigen”. Sie glaubten natürlich fest an eine schnelle, siegreiche Heimkehr. Es kam anders.

Niemals je zuvor hatte ein Krieg so viele Opfer gefordert. Lang ist die Reihe der Namen auf Denkmälern, die man den toten Rüttenscheider Soldaten errichtete. Die zahlreichen, oft aufs schwerste Verwundeten sind dabei nicht erfasst. Und auch nicht die Hungertoten der Jahre 1917 bis 1919.

Anders als im übrigen Deutschland, war für die Menschen im Ruhrgebiet der Krieg 1918 noch keinesfalls zu Ende. Weil Deutschland mit der Begleichung seiner Kriegsschulden im Rückstand war, marschierten im Januar 1923 etwa 10.000 französische und belgische Soldaten ins Ruhrgebiet ein und stellten es quasi unter Kriegsrecht. In Rüttenscheid wurden mehrere öffentliche Gebäude besetzt. Im Justizgebäude am Haumannplatz, das jetzt Palais des Justice hieß, tagte das Kriegsgericht.

Das Bredeneyer Realgymnasium war ebenfalls beschlagnahmt. Darum mussten dessen Schüler mit den Schülern des Rüttenscheider Goethegymnasiums zusammenrücken. Vielleicht war es Übermut, vielleicht Frust oder Wut, als sie eines Tages während der Pause beim Vorbeimarsch französischer Truppen pfiffen und johlten. Dieser Vorfall brachte ihrem Schulleiter eine siebentägige Haft ein. Stadtweit kam es sogar zu Zusammenstößen, bei denen Tote und Verletzte zu beklagen waren. Als die Besatzungstruppen nach zweieinhalb Jahren abgezogen, blieb mancher Zorn zurück. Der mag es mit begünstigt haben, dass sich bald schlimmeres Unheil zusammenbraute.

Städtische Entwicklung: Gründerzeiten

Es wurde schon erwähnt, dass parallel zu den großen politischen Veränderungen auch die “Industrielle Revolution” begann, die zu einer noch tiefgreifenderen Umgestaltung der Lebensverhältnisse führte. Ihre rasante Entwicklung bedeutete das Ende der Bauerschaft Rüttenscheid, ein Schicksal, das sie mit allem umliegenden Weilern und Orten teilte. Viele Höfe wurden aufgegeben, teilweise in Gaststätten umgewandelt. Aber all das geschah nicht über Nacht.

Am Anfang stand die Entwicklung der Dampfmaschine. Ihr verstärkter Einsatz beim Antrieb von Maschinen und neuartigen Transportmitteln, wie etwa Dampfschiff und Eisenbahn, führte zu einem enormen Hunger nach Energierohstoffen. Lange hatte das Holz diese Funktion erfüllt. Doch der Vorrat in den Wäldern war durch Raubbau dahingeschmolzen. Bei steigendem Bedarf gab es um 1800 Verordnungen, nach denen zum “Schutz der Wälder” der Einsatz von Steinkohle gefördert, ja sogar befohlen wurde. Dort, wo Kohlenflöze an die Erdoberfläche traten, wurde die Kohle in dieser Gegend seit dem 15. Jahrhundert in einfachen Gruben, später auch über Stollengänge abgebaut. Die Geschichte des Rüttenscheider Kohlenbergbaus begann in Bredeney an der Kluse, wo der “lange Brahm”, eine Ginsterart, üppig wuchs und der Zeche den Namen gab.

Zeche Langenbrahm

Sie gehört zu den ältesten Grubenbetrieben im Ruhrgebiet und zu denen, auf der am längsten ununterbrochen gefördert wurde. Es begann im Jahre 1772. Damals gestattete der Werdener Abt Anselmus, der als Landesherr das Bergregal innehatte, drei Männern aus Bredeney, sowie drei weiteren aus dem benachbarten Essendischen Stift, nämlich “…Johann Herman und Wilhelm Kahman und Herman Montag aus Rüttenscheid”, eine von ihnen entdeckte etwa drei Meter dicke Kohlenbank “oberhalb der Klusen” abzubauen.

Der Abbau geschah neben der bäuerlichen Arbeit. Während der Erntezeit ruhte er. Die geförderte Kohle – sofern man sie nicht selber brauchte – wurde über die Ruhr abtransportiert, wo allerdings die Schifffahrt meist nur wenige Monate betrieben werden konnte.

Als die erste Lagerstätte abgebaut war und ein Versuch, in tieferen Schichten auf neue Kohlenbänke vorzustoßen, nicht den gewünschten Erfolg brachte, entschloss sich die Gewerkschaft, also die Männer, die den Kohlenabbau finanzierten und betrieben, ihr Glück auf Rüttenscheider Gelände zu versuchen. 1862 war hier der erste Schacht bis 340 Meter in die Tiefe vorgedrungen.

Langenbrahm war eine „saubere“ Zeche. Die hier abgebaute Anthrazitkohle war zwar ein hervorragender Brennstoff für den Kohleofen im Privathaushalt, eignete sich aber nicht zur Verkokung und damit nicht zur Metallerzeugung. Dank guter Handelsverbindungen überstand die Zeche am Rellinghauser Standort allerdings die um 1960 einsetzende Bergbaukrise länger als andere. Sie wurde erst im Jahr 1965 endgültig stillgelegt. Auf dem Rüttenscheider Zechengelände, das später durch den Bau der Autobahn A 52 zerschnitten wurde, konnten etliche Kleingewerbebetriebe angesiedelt werden.

Mit einem weiteren Schacht war Langenbrahm im Jahr 1889 ein Großzechenbetrieb geworden, der 735 Arbeiter beschäftigte. Acht Jahre später waren es über tausend. Sie kamen nicht mehr allein aus Rüttenscheid, sondern waren von weit her nach dorthin gezogen, wodurch die Einwohnerzahl stetig anstieg.

Für eine Weile war die Zeche Langenbrahm Rüttenscheids größter Arbeitgeber. Doch mit der Inbetriebnahme weiterer Schächte in Rellinghausen verlagerte sich der Schwerpunkt des Betriebes mehr und mehr dorthin. 1946 dienten die Rüttenscheider Schächte nur noch der Bewetterung.

Mit Kaiserlicher Post und Rheinischer Eisenbahn Anschluss an die Welt

Gerade erst war Rüttenscheid der Bürgermeisterei Rellinghausen zugeschlagen worden, da wurde es im Jahre 1885 zu einem Postort. Wer immer das vorangetrieben haben mag; es bedeutete jedenfalls eine Aufwertung, die auch von den ansässigen größeren Firmen sehr begrüßt wurde. Der Name Post Rüttenscheid, nun per Brief in die Welt hinausgetragen, musste allerdings nach der Eingemeindung wieder aufgeben werden.

Eine Voraussetzung für den Postort mag wohl die Eisenbahnlinie gewesen sein. Rüttenscheid über Schienen mit der weiten Welt zu verbinden, nahmen damals private Unternehmer in die Hand. Ausgerechnet die „Rheinische Eisenbahn“ wurde an der Ruhr aktiv. Seit 1872 rollten ihre Züge über Mülheim-Heißen nach Rüttenscheid, später weiter über Rellinghausen nach Steele-Süd, eine Zeit lang sogar bis nach Altendorf, wo es Anschluss an ein anderes Schienennetz gab.

Hatte man ursprünglich die Bahnlinie für den Kohlentransport geplant, so fuhren ab 1879 hier auch Personenzüge. Sie transportierten zunächst vor allem die Bergleute zu ihren Arbeitsstätten. Später entwickelte sich daraus eine beliebte Ausflugsstrecke, was die Bezeichnung Gruga-Express zum Ausdruck bringt. Im Jahr 1965 machte er seine letzte Fahrt. Güterzüge verkehrten noch bis 1980. Heute rollen hier auf ganz neuer Spur die Fahrräder. Die alte Bahntrasse ist ein beliebter Teil des Essener Radwegenetzes, das durch schattige Bachtäler bis zur Ruhr hin führt. Die große Fläche des einstigen Güterbahnhofs Rüttenscheid ist hingegen noch eine Zukunftsaufgabe für Stadtplaner und Architekten, während gleich daneben das neue Wohnbauprojekt Quartier 4 schon realisiert wurde.

Wilhelm Girardet, ein Unternehmer mit Weitblick

Ins Ruhrgebiet strömten in den Aufbruchzeiten des 19. Jahrhunderts nicht allein zahlreiche Menschen, die im Bergbau oder bei den großen Hütten- und Stahlbetrieben Arbeit suchten. Auch junge Menschen mit Visionen und Unternehmergeist machten sich auf, weil sie hier Chancen für ihre Zukunft sahen. Zu ihnen gehörte der Buchbinder Wilhelm Girardet aus Lennep. Im Jahre 1865 begann er in Essen mit einer kleinen Druckerei und einem Papiergeschäft. Die Qualität seiner Produkte muss die Kunden, zu denen auch die Krupps gehörten, überzeugt haben. So wuchs der Betrieb.

Zum einfachen Druckbetrieb kam bald verlegerisches Handeln. Mit seinem “Anzeiger für das Berg-, Hütten- und Maschinenwesen” hatte er eine Marktlücke ausgemacht. Er entdeckte auch den Industriearbeiter als Leser einer preiswerten Tageszeitung. Seine unterhaltsamen wie niveauvollen Generalanzeiger erschienen in vielen aufstrebenden Städten Deutschlands.

Für den Betrieb wurde es in der Innenstadt allmählich zu eng. So zog Girardet im Jahr 1895 nach Rüttenscheid, “wegen der guten Luft und der Straßenbahn” wie es heißt. Gewiss spielte auch der anliegende Bahnhof eine Rolle. Ganz sicher aber die Ausdehnungsmöglichkeiten! Der Betrieb wuchs und wuchs, in der Fläche wie in der Anzahl der Mitarbeiter, die 1913 schon 400 betrug.

Als der Firmengründer 1918 starb, konnte er einen soliden Betrieb an den Sohn, Wilhelm Girardet II., übergeben. Gegenüber allen technischen Erneuerungen im Druckwesen zeigten sich die Girardets stets aufgeschlossen. Immer stand dabei die Qualität der Erzeugnisse an erster Stelle, wofür sie mit Auszeichnungen gelobt wurden.

Ausgezeichnet worden war auch schon der Firmengründer wegen seiner “Verdienste um Handel und Gewerbe in der Stadt” und der “Pflege der Kunst”. Auch bei der betrieblichen Sozialfürsorge hatte Wilhelm Girardet sich – Kruppschem Vorbild folgend – mit der Einrichtung einer Betriebskrankenkasse (1896) und einer Pensionskasse (1897) einen Namen gemacht.

Um all dieser Verdienste willen nannte die Stadt Essen aus Anlass des 100jährigen Firmenjubiläums im Jahr 1965 die Gerswidastraße, an welcher der Druckbetrieb lag, in Girardetstraße um. Damals beschäftigte das Unternehmen rund 2.700 Mitarbeiter.

Niemand hätte ahnen können, dass dieses Druckhaus, in dem über Jahrzehnte Zeitschriften wie Micky Maus, Stern und Quick, hunderte von Fach- und Schulbüchern, Prospekte und Kataloge in Riesenauflagen und bester Qualität produziert wurden, 1988 die Tore würde schließen müssen. 750 Beschäftigte in Essen verloren ihren Arbeitsplatz und die Stadt einen vorbildlichen Familienbetrieb.

Das Girardet Haus - in Essen wieder ein Begriff

Fast wäre Rüttenscheid zugleich um einen imposanten Bau ärmer geworden. 1988 reiften in der Stadtverwaltung Pläne zum Abriss der ehemaligen Produktionsstätte. Hier sollten Büros und Hotels entstehen. Rüttenscheid hätte nach so vielen Kriegsverlusten nun ein weiteres Gebäude mit Historie verloren.

Die Rettung des denkmalwürdigen – aber nicht denkmalgeschützten – Gebäudes kam von außen, von weit her. 1989 erwarb der Berliner Unternehmer Dietmar Otremba (der einige Zeit in Essen gewohnt hatte) den gesamten Druckereikomplex.

Die schöne Ziegelarchitektur wurde aufgefrischt und stellt wieder einen Blickfang dar. Es gelang dem mutigen Investor zugleich, das Haus auch innen – trotz einiger Anfangsschwierigkeiten – mit neuem Leben zu füllen. Heute beherbergt Das Girardet Haus eine bunte Mischung aus Arztpraxen und Kleinkliniken, Geschäften und Gaststätten, Fortbildungs-, Kultur- und Fitnesseinrichtungen. Zudem hat sich hier seit 1997 die MUNDUS Senioren-Residenz eingemietet, die wegen großer Nachfrage bald erweitert werden musste. Und auch ein Hotel hat in dem Gebäude seinen Platz gefunden.

Auf dem Weg zur Messestadt

Vor allem diesen kleineren Betrieben sollte die Einrichtung einer Gewerbeausstellung zugute kommen, die im Jahr 1913 von Oberbürgermeister Holle ins Leben gerufen wurde. Er konnte 12 Gesellschafter dafür gewinnen, ihr Kapital in das Unternehmen einer “Allgemeinen Werbeschau” zu stecken, mit der der Handel belebt, aber auch das Prestige der jungen Großstadt gesteigert werden sollte.

Es war ein Unternehmen mit offenem Ausgang; denn man hatte sich gegen größere und etablierte Messen in Köln und Düsseldorf zu behaupten. Nischen mussten gefunden werden, die im Kölner und Düsseldorfer Messeangebot nicht erfasst waren.

Der Plan wurde in kürzester Zeit umgesetzt. Die ersten Messehallen empfingen ihre Besucher. Sie erschienen zahlreich. Doch nach gelungenem Auftakt kam es schon ein Jahr später durch den Ersten Weltkrieg und die nachfolgenden Notzeiten bis 1921 zur Unterbrechung, abermals von 1923 bis 1925 durch die Ruhrbesetzung.

Der danach wieder aufgenommene Ausstellungsbetrieb war so erfolgreich, dass an Erweiterung der Ausstellungsflächen gedacht werden durfte. Zu den 1927 eröffneten Neubauten zählte als ganz besonderer Teil die von Josef Rings als Mehrzweckhalle konzipierte Messehalle V, schon damals ein herausragender Bau mit einer Grundfläche von 98 m Länge und 40 m Breite. Über den Fundamenten dieses im Krieg zerstörten Gebäudes sollte 30 Jahre später die Grugahalle ihre Schmetterlingsflügel entfalten.

Von 1939 bis 1948 ruhte abermals der Ausstellungsbetrieb. Zeitweilig wurden die Hallen von den damaligen Machthabern für Kriegspropaganda genutzt, bevor sie am Ende durch eben diesen Krieg in Schutt und Asche fielen.

Die erste Nachkriegsausstellung hatte das Thema “Der Wald – unser Schicksal”. Im darauffolgenden Jahr ging es bezeichnenderweise um “Dach und Fach” (1949) - Wiederaufbaujahre! Bald hatte man aber auch schon wieder Sinn für Mode, Sport und Automobile, ebenso für das Gaststättenwesen. Neue Spezialausstellungen – anfangs auch noch im Zeichen des Bergbaus - kamen hinzu und wurden bald zu einem festen Begriff für die Messe Essen in Rüttenscheid an der Gruga, die nach mehreren Erweiterungen heute der größte Messeplatz im Ruhrgebiet ist. Wie sich die Messe ihr attraktives grünes Umfeld schuf, wird später noch zu erfahren sein.


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